Stellungnahme zu einer Reform des Hochschulwesens

Ausgehend von der Überlastung der Hochschulen und der langen durchschnittlichen Studiendauer wurden in letzter Zeit verschiedene Vorschläge zur Restrukturierung des Studiums laut. Die Studentische Tagung Sprachwissenschaft (StuTS) sieht die Diskussion folgender Punkte als wichtige Grundlage für eine konstruktive Reform:

  1. Die von Land und Bund vorgebrachten Konzepte konzentrieren sich darauf, das Studium mittels administrativer Maßnahmen zu verkürzen und umzustrukturieren. Dabei stehen nicht die Lehrinhalte und Studienbedingungen im Mittelpunkt, sondern die Effizienz der Hochschulbildung nach wirtschaftlichen und industriellen Gesichtspunkten.

    Wir halten eine Veränderung der Hochschule ohne inhaltliche, die Studierenden einbeziehende Diskussion für unmöglich und kontraproduktiv.

  2. Als Anlaß der Diskussion dient die Hochschulfinanzierung. Die Hochschulen seien zu teuer und ineffektiv. Die Reform soll Hochschulbildung besser und billiger machen. Dieser Vorstellung liegt eine völlige Fehleinschätzung der Situation zugrunde: In den vergangenen zehn Jahren verdoppelte sich die Zahl der Studierenden, die Zahl der Stellen stagnierte. In der gleichen Zeit erhöhte sich die durchschnittliche Studiendauer lediglich um zwei Semester.

    Die Ausbildung verantwortungsvoller Akademikerinnen erfordert somit neue Investitionen, nicht Streichungen von Finanzmitteln. Die Studierenden dürfen nicht für die verfehlte Finanzpolitik der vergangenen Jahre bestraft werden.

  3. Das Hauptargument der Reformer ist die auf Ausbildung einer Elite fixierte Behauptung, es gebe zu viele Studierende.

    Das Recht auf universitäre Bildung darf nicht von der sozialen und finanziellen Ausgangssituation abhängig gemacht werden.

  4. Viele Studierende müssen mittlerweile einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit auf die Sicherung ihres Lebensunterhalts verwenden. Dies führt zwangsläufig zu einem längeren Studium.

    Wir fordern daher die finanzielle Absicherung aller Studierenden durch den Staat

  5. Derzeit besteht vor allem für die Studierenden in Baden-Württemberg und Bayern keine Möglichkeit der demokratischen Mitbestimmung an den Hochschulen. Die Beteiligung an Demokratie ist eine notwendige Voraussetzung für die verantwortungsvolle Ausfüllung der späteren gesellschaftlichen Position der heutigen Studierenden.

    Nur eine demokratisch organisierte Hochschule wird ihrer Funktion in einer demokratischen Gesellschaft gerecht

  6. Die starke Bedeutung des berufsqualifizierenden Studiums in den derzeitigen Reformvorschlägen darf nicht auf Kosten der wissenschaftlichen Qualifikation der Studierenden gehen. Eine Orientierung etwa der Zulassung zur Promotion an einer möglichst niedrigen Semesterzahl anstatt an fachlicher Kompetenz ist schlichtweg absurd.

    Verantwortliche Wissenschaft kann nicht in einem schulähnlichen Studium, sondern nur in eigenständiger Beschäftigung mit der Materie erreicht werden.


13. StuTS, Kiel, 20.-23. Mai 1993


vertretene Universitäten:

FU Berlin, TU Berlin, Bonn, Bordeaux, Düsseldorf, Graz, Hamburg, Innsbruck, Kiel, Köln, Lund, Osnabrück, Saarbrücken, Stuttgart, Trier, Tübingen, Wuppertal